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Bildende Kunst

„Urban sketching“ heißt wörtlich übersetzt „städtisches skizzieren“. Ein gemeinsames Merkmal ist die Leidenschaft für das Zeichnen.

Im Urban-Sketchers-Manifest heißt es unter anderem:

  • Wir zeichnen vor Ort, drinnen oder draußen, nach direkter Beobachtung.
  • Wir benutzen alle Arten von Medien.
  • Wir unterstützen einander und zeichnen zusammen.

Im Grunde genommen ist Urban Sketching nichts wirklich Neues – schließlich ist die Skizze als Entwurf jahrhundertealt. Die Zeichnung des Urban Sketchers ist jedoch nicht der (Vor-)Ent-wurf für ein Gemälde, sondern ein Werk an sich. Dieses wird im Internet veröffentlicht und inzwischen auch in einschlägigen Kunstausstellungen präsentiert. Damit gewinnt die Zeichnung einen eigenständigen künstlerischen Wert.

Unsere kleine Gruppe von 8 Leuten logiert vom Donnerstag 12. Juli bis  Sonntag, 22 Juli 2018i m BSW-Hotel Isarwinkel,  Bad Tölz und hat sich dieses Thema vorgenommen.

Die Ausrüstung ist mit Bleistift, Tusche, Aquarellfarben einem Wassertankpinsel sowie Skizzenblock oder Einzelblätter  - maximal DIN A3 -schnell zusammengestellt und von kleinem reisfreundlichen Umfang.  

Nach einer kurzen Einführung sitzen wir im Garten des Hotels.  Zwei Stühle im Gras, im Hintergrund Sträucher, parkende Autos und eine Häuserzeile. „Wir unterstützen einander und zeichnen zusammen“ - insbesondere beim Erkennen und Festhalten der geometrischen Grundfarben und der Perspektive. Der Grundsatz „zeichne was du siehst und nicht was du weißt“ wird zum Tagesmotto.

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Das einfach anmutende Motiv entpuppt sich als erste Herausforderung. Eine lohnende Übung für das Auge und die Hand, die sehr gerne gleich zu Beginn der Arbeit genaue Details aufs Papier zeichnen will. Dieser Grundsatz gilt auch für die Zeichnung einer Baumgruppe hinter dem Hotel, die wir als nächstes Motiv aussuchen.

An der evangelischen Kirche üben wir interessante Ausschnitte und Bauteile zu zeichnen. Unser Standort ist sehr nahe an dem einfach strukturierten Sakralbau. Einige Teilnehmerinnen finden die Froschperspektive des Kirchturms besonders interessant und skizzierten trotz zunehmender Hitze fliehende Linien, den achteckigen Turmaufsatz und Bogenfenster.

„Gänseliesel“ beim Enten füttern am Isarufer führt zum Thema Menschen und Tiere. Die Bewegung dieser Motive stellt neue Anforderungen. Schnelles Erfassen und Aufreißen der Situation und anschließendes Ausarbeiten der Zeichnung auf Grundlage des  Gesehenen.

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Bei einer abendlichen Aktsitzung vertiefen wir die Studien zum Menschenbild.

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Die Marktstraße bietet typisch bayerische Architektur und eine aufmerksamen Öffentlichkeit. Interessante Passanten-Gespräche über Kunst und Stadtgeschichte begleiten die Zeichenübung.

Wegen der hochsommerlichen Temperaturen sparen wir uns den Weg zu einer mystischen Weide und holen uns den Baum per Beamer in unseren Malraum.

Die digitale Technik ist hier sehr hilfreich aber auch von Nachteil. Man kann das Motiv nicht dreidimensional erfassen und muss die zweidimensionale Abbildung in die Räumlichkeit transferieren. Der hohle, gewundene Stamm fordert die Teilnehmer heraus,  die Drehung zu modellieren und die Rindenstruktur aufzunehmen. Für das geübte Auge und den versierten Zeichner ein interessante Übung. Für Anfänger eine sehr schwierige Aufgabe.

 

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Das Wetter bleibt hochsommerlich heiß. Deshalb sind wir auch am letzten Tag indoor und widmen uns nochmals dem Menschenbild und veranstalten eine rotierende Porträtsitzung. Ich sitze Modell, die Teilnehmerinnen nehmen Halbkreis vor mir Platz und  zeichnen eine Kopfstudie. Alle 20 Minuten rücken sie einen Stuhl weiter und nehmen so den Kopf vom Vollprofil bis zum Dreiviertelprofil wahr.  Ich zeichne die hoch konzentrierten Zeichnerinnen…

 

Die kleine Gruppe zeigt sich beim Feedback begeistert. Demonstration, Hilfe und Gespräche konzentrieren sich fast ohne Zeitlimit auf die individuellen Entwicklungsstufen. „Ohne deine Hilfe wäre ich schon an den Stühlen gescheitert.“  Das intensive Miteinander in Theorie und Praxis spornt an und steigert die Lust, ein Motiv der eigenen Vorstellung entsprechend mit dem Zeichenstift widerzugeben. „Ich will den Baum jetzt hinkriegen.“ Die fortgeschrittenen Teilnehmerinnen begrüßen das wechselseitige Geben und Nehmen des künstlerischen Austauschs. Schwarzes Papier und ein professionell entspanntes Aktmodell haben insbesondere den noch wenig geübten eine Tür zu Selbstvertrauen und Mut geöffnet, die eigene „Handschrift“ konsequent zu suchen. Kurzum - Urban sketching ist ein Seminar, das in einer großen Gruppe in der in Bad Tölz erlebten Intensität nicht durchführbar ist. Eine Teilnehmerin meint sogar „Das schönste Seminar, das ich jemals mitgemacht habe.“. Das überzeugendste Resümee für mich ist der beim letzten Abendessen geäußerte Vorsatz: „Wenn ich zu Hause bin lege ich mir Block und Stift zurecht und werde täglich eine halbe Stunde zeichnen.“